Endlich Zeit für uns selbst finden

Bräuche und Gedanken zu den Rauhnächten
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Wer denkt bei Rauhnächten nicht an eisige Winterstürme und Schneetreiben, an unheimliche Gestalten, Hexen, Geister und Dämonen, die um das Haus spuken und eine geheimnisvolle bisweilen sogar beängstigende Stimmung verbreiten?

Die „Zwölften“ oder „Wolfsnächte“, wie die Nächte zwischen Weihnachten und Heilige Drei Könige auch genannt werden, sind eine besondere, magische Zeit, in der die Natur stillzustehen scheint. Der Name Rauhnächte geht dabei vermutlich auf das mittelhochdeutsche „ruch“ zurück, das „wild“, „haarig“ und „pelzig“ bedeutet. Hier gibt es einen eindeutigen Bezug zu den Perchtenumzügen, bei denen wilde, mit Fellen behangene Gestalten durch die Straßen ziehen. Eine andere Deutung besagt, dass vor allem das Räuchern der Häuser und Ställe zu diesem Namen führte. So bedeutet das mittelhochdeutsche „rouch“ rauchen oder räuchern.

In manchen Gegenden beginnen die Rauhnächte bereits am Thomastag (21. Dezember), der eigentlichen Wintersonnenwende. Sie liegen in der dunkelsten Zeit des Jahres – die Nächte dauern dabei bis zu 16 Stunden. Da Dämonen und Geister überwiegend der Finsternis entstammen, sollen sie in den 12 Nächten die größte Macht besitzen. Das gilt insbesondere für den Wilden Jäger mit seinem Heer sowie Frau Holle mit ihrem Gefolge.

Während in Südthüringen oft von Frau Holle die Rede ist, hört man im Saalfelder Raum und im Orlagebiet von der Perchta. Laut dem Volkskundler August Witzschel warnte man störrische Kinder mit den Worten: „Schweig, sonst kommt die wilde Bertha.“ Sie wurde auch Bidabertha, Hildabertha oder „die eiserne Bertha“ genannt. In den Erzählungen erscheint sie als wütende Frau mit wilden Haaren und beschmutzt das Spinnrad von Mädchen, die am letzten Tag des Jahres ihren Flachs nicht abgesponnen haben. Viele Menschen aßen an diesem Tag Klöße und Hering, um die Perchta oder Prechta fernzuhalten. Andernfalls, so glaubte man, würde sie ihnen den Bauch aufschneiden, das Erstverzehrte herausnehmen und stattdessen gehacktes Gemüse hineinstopfen. Während die Hessen Frau Holle mit dem Hohen Meißner in Verbindung bringen, wissen die Thüringer, dass ihr winterlicher Aufenthaltsort der Hörselberg bei Eisenach ist. Wenn sie sich den Menschen zeigt, dann nur ein einziges Mal im Jahr und ebenfalls im Thüringischen, nämlich in  Schnett (Hildburghausen).

Mit Einbruch der Dunkelheit tauchten dort die sogenannten „Hulleweiber“ auf: Furchterweckende Gestalten in langen weißen Hemden, mit einer Papiertüte auf dem Kopf, einer schrecklichen Maske auf dem Gesicht und einer besonders langen Nase. Letzteres Kennzeichen ist wahrscheinlich das einzig verlässliche der Frau Holle. Schon Luther, der sie – als Konkurrenz des Heiligen Christ – nicht mochte, hat sie als „Frau mit der Potznasen, die umhängt ihren alten Treudelmarkt, den Strohharns und scharrt daher mit ihren Geigen“ beschrieben. In Schnett  erscheint übrigens die Holle gleich mehrfach und in Begleitung eines Gertenträgers. Vor Jahren noch versuchten vornehmlich ältere Frauen aus dem Kostüm der „Ströhernen“ ein paar Halme zu ergattern, um damit das Nest ihrer Hühner zu polstern und so das Weglegen der Eier zu verhindern.

Man war und ist in Thüringen abergläubisch, besonders die Wäldler. Auch wenn die jungen Leute spöttisch lächeln, halten die Alten doch beharrlich an bestimmten Vorzeichen und Überlieferungen fest, die sie von ihren Eltern oder Großeltern übernommen haben.

Die Welt offenbarte in den zwölf Nächten nämlich ihr Doppelwesen. Praktisch jede Verrichtung besaß eine zweite, parallele Bedeutung und Wirkung. Man muss höllisch auf der Hut sein, um nichts durcheinanderzubringen. Versäumnisse und Vergehen haben zumeist fatale Auswirkungen auf das kommende Jahr.

In Hainspitz bei Eisenberg glaubte man, das Waschen während der zwölf Nächte beschwöre die Wilde Jagd. Darüber hinaus waren zu dieser Zeit auch das Nähen, Häkeln, Stricken, Spinnen sowie zum Teil das Backen untersagt. Die von diesen Arbeiten befreiten Frauen hatten jedoch umso mehr Verantwortung bei der Auswahl der richtigen Speisen. Erbsen zu essen, war zum Beispiel streng verboten. Ebenso vermied man den Verzehr von Kraut – zumindest in Veilsdorf. So ruhten alle Arbeiten, die mit drehender Bewegung verbunden waren. Das heißt, man durfte nicht backen, um Essen rühren, buttern, schlachten oder mahlen. Um die Dämonen freundlich zu stimmen, wurden Teller oder Schüsseln mit Grütze in den Hof gestellt; Räucherwerk sollte sie veranlassen, weiterzuziehen.

Was man in den zwölf Nächten träumte, das würde, so sagten die Leute, im entsprechenden Monat wahr. Der Ofen durfte in den zwölf Nächten nicht ausgehen. Über Nacht brannte darin ein Klotz aus Buchenwurzelholz (Oberneubrunn bis in die 40er/ 50er Jahre), welcher anderswo häufig als „Christklotz“ bezeichnet wird. In Neuhaus-Schierschnitz durfte das Feuer nur in der Neujahrsnacht nicht ausgehen. Die Ofenblase oder das Wasserschiff am Ofen sollte gut gefüllt sein, sonst gäbe das neue Jahr genügend Anlass, den großen Behälter voll zu weinen (Steinach, Steinbach). In dieser Zeit sollte man zudem seine Türen und Fenster gut verschlossen halten, da sonst die „Wilde Jagd“ hindurch zieht. Auch den Hausboden mochte man in diesen langen dunklen Nächten ungern betreten (Steinach).

Im „Ökonomischen Kunst- und Haushaltskalender für das Jahr 1765 (gedruckt in Schleiz) findet sich eine sonderbare Anmerkung der zwölf Nächte.

Wenn die Sonne am heiligen Christtage scheint, so bedeutet es ein glücklich Jahr, scheinet die Sonne den 2. Tag, so bedeutet Theuerung, den 3. Streit und Uneinigkeit, den 4. drohet es den jungen Kindern Krankheit, Masern und Kinderblattern, den 5. geräth Obst und Winterfrucht wohl, den 6. giebts Überfluss an Baum- und Feldfrüchten, den 7. bedeutet es gute Viehweide, hingegen aber Theurung an Korn und Wein, den 8. viel Fische und wilde Vögel, den 9. bedeutet es den Kaufleuten glückliche Handelschaften, den 10. kommen gefährliche Gewitter, den 11. bedeutet es große Nebel und daraus entstehende pesilenzialische Krankheiten, den 12. bedeutet es Krieg und Blutvergießen.“

Vor langer Zeit, als es noch eine starke Verbindung innerhalb der Dorfgemeinschaften gab und Alt und Jung sich an den dunkelsten Tagen des Jahres in den Stuben trafen, ergaben diese Rauhnächte zweifellos Sinn. Heute muss sich niemand mehr in die warme Bauernstube flüchten. Bei allem äußeren Komfort sind dennoch die innere Not und die Sehnsucht nach Wärme und Gemeinschaft viel größer als früher. Je schnelllebiger die Zeit, desto stärker wächst in uns die Sehnsucht nach Ruhe und Rückbesinnung.

Die Rauhnächte bieten heute die Möglichkeit, Zeit für sich selbst zu finden. Wer diese Tage gut zu nutzen weiß, kann viel über sich selbst erfahren.

Kirsten Seyfarth

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